7. Apr. 02
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Zunächst war es ein ganz
normaler Tag. Sonnenschein von einem wolkenlosen Himmel, scharfer
Ostwind und kaum 10 Grad im Schatten. Die Dohlen hatten wieder Lust
und Laune, sich vom weicheren Nestinneren nach Herzenslust zu
bedienen. Das lässt darauf schließen, dass sie bereits mit dem
Innenausbau ihrer Nester beschäftigt sind und dass bald die
massiven Plünderungen der Vergangenheit angehören werden. Ob nun
Störche erscheinen oder nicht. Im ersteren Fall würden sich die
Diebstähle so und so verbieten.
Ein kleines Pflänzchen
hat sich in den letzten Tagen in Folge der Freilegungsarbeiten des
Dohlenvolkes am vorderen Nestrand entwickelt und strebt nun jeden
Tag etwas weiter ans Licht. Ein Samenkorn hat davon profitiert, dass
Bedingungen eingetreten sind, die ein Keimen ermöglichten.
Neues Leben sprießt im Nest!
Während ich mich auf den
morgigen ersten Schultag vorbereite, blicke ich mit einem Auge auf
das Bild der Storchenkamera am heimischen PC.
16:22 Uhr: Ein neuer
Storch steht wieder im Nest nach zwei ganz storchenlosen Tagen.
Ein Blick auf die langen, roten Beine zeigt mir schnell den Ring
rechts über den Zehen. Storch Nummer 10 der diesjährigen
Saison.
Gelandet! Ist schon ein
Partner im Anmarsch? |
Ob ich wohl
bleiben soll? |
Kreist da hinten nicht
schon etwas? |
Ich mach mich
schon mal breit! |
Da ist doch irgendwo
schon etwas zu sehen! |
Da baue ich doch erst mal
meine Aggressionen ab! |
16:41 Uhr: Ein zweiter
Storch kreist ums Nest. Leider gelingt vor lauter Aufregung kein
Schnappschuss dieses zweifellos unscharfen Flugbildes.
16:41 Uhr: Ringstorch
verlässt das Nest, so dass dieses im Augenblick leer steht.
16:42 Uhr: Ein mit einem
schwarzen Farbring oberhalb des Intertarsalgelenkes markierter Storch
ist im Nest gelandet, also bereits die Nummer 11 der Saison.
Storch Nummer 11, zwar kopflos, aber mit
schwarzem Farbring über dem
linken Intertarsalgelenk, einziger Schnappschuss des
10-Sekunden-Storchs
16:43 Uhr: Unberingter
Storch wieder weg
16:43 Uhr: Ringstorch
erscheint. Steht bis 16:55 Uhr im Nest, ohne dass ein weiterer Ab-
oder Anflug erfolgt.
Ringstorch rechts unten übernimmt
wieder Kommando
16:55 Uhr: Für wenige
Sekunden weg
16:55 Uhr kurz wieder da
16:56 Uhr: Abflug
Ringstorch
17:00 Erste Dohlen
kehren zurück. In der Folgezeit übernehmen sie wieder allein
das Kommando.
Das Dohlengeschwader übernimmt Kommando
Zwischen 18:45 Uhr und 19:45
Uhr suche ich in der Wörnitzaue nördlich und südlich ohne
Erfolg nach den beiden Kurzbesuchern Nummer 10 und Nummer 11.
20:15 Uhr: Das Nest
bleibt am Abend leider wieder verwaist.
Diese kurz Chronologie lässt folgende
Schlüsse zu: Der beringte Besuchsstorch Nummer 10 wurde von
einem zweiten, unberingten Storch rund 20 Minuten nach seiner
Landung im Nest bedrängt und attackiert. Daraufhin gelang es dem
Angreifer für wenige Sekunden im Nest Fuß zu fassen, ehe er von
dem "Erstankömmling" wieder abgedrängt wurde. In den
folgenden zehn Minuten äugte der Ringstorch regelmäßig angespannt
in den Himmel über Dinkelsbühl, als ob er den zweiten Storch noch
im Blickfeld habe. Als Nummer 10 schließlich abflog und letztlich
auch nicht mehr zurückkehrte, schien es so, als folge er der Nummer
11, allerdings so weit, dass sich eine Rückkehr für Nummer nicht
mehr anbot.
Auch wenn ich mich ein weiteres
Mal wiederhole: Geben Sie mit mir die Hoffnung noch lange nicht
auf. Im vergangenen Jahr begann die Brut auch erst in den ersten
Maitagen und bis dahin ist ja noch reichlich Zeit. Der nächste
Besucher trägt dann die Nummer 12. Machen wir halt das Dutzend noch
voll!
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9. Apr. 02
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Die vielen Sorgen um das
bestehende Nest nehme ich heute einmal zum Anlass, doch einige
Unklarheiten zu beseitigen und manches richtig zu stellen. Störche
gehören im Tierreich
zur Klasse der Vögel. Diese in der Systematik des
Tierreiches rund 9000 verschiedene Arten umfassende Gruppe entstand
vor etwa 150 Millionen Jahren in der Kreidezeit in der Nachfolge
Sauriern ähnelnder Tierarten. Zu dieser Zeit gab es noch keinerlei
menschliches Leben, so dass alle Vögel – und somit auch die Störche
– Brutstrategien entwickelten, die ohne menschliche Hilfe
funktionierten und
selbstverständlich auch heute ohne menschliches Zutun greifen.
Keiner käme auf die Idee, einer Heckenbraunelle ein Nest zu bauen
oder einem Kiebitz auf der Wiese eine Nestmulde anzulegen. Nur die
Tatsache, dass Störche sich in den letzten Jahrhunderten immer mehr
im Wohn- und Tätigkeitsbereich der Menschen ansiedelten, führte
dazu, dass auch immer öfters darüber nachgedacht wurde, eine
Ansiedlung durch die Bereitstellung einer Nisthilfe zu fördern
oder einen möglichen Brutplatz wenigstens anzubieten.
Für das Überleben der Vogelart Storch sind solche Maßnahmen
jedenfalls nicht notwendig.
Nun existiert in Dinkelsbühl (siehe
Historisches) schon lange Zeit ein Storchennest
oder besser gesagt eine Nisthilfe in Form eines ausgedienten
Wagenrades. Nachdem das letzte Nest nach 1968 nicht mehr besetzt
wurde, dauerte es nur wenige Jahre, bis durch Witterungseinflüsse
und auch durch den Diebstahl der Dohlen das Nest mehr und mehr
verfiel und schließlich nichts Pflanzliches mehr auf der Unterlage
zu erkennen war. Nicht der Zustand des Nestes ließ die Störche
damals aus Dinkelsbühl verschwinden, sondern durch das Ausbleiben
der Störche – es wurde kein neues Nistmaterial mehr eingetragen
– wurde das Nest durch die genannten äußeren Einflüsse von Jahr
zu Jahr immer weniger. Der Niedergang des Storchenortes Dinkelsbühl
fiel mit dem allgemeinen Sinken der Storchenzahlen in
Mitteleuropas während des Beginns der 70er-Jahre zusammen. Im
Gefolge des Rückgangs wurden zuerst die Standorte gemieden, die bezüglich
der Qualität des Lebensraumes nur zweite Wahl darstellten.
Der erste Versuch, in Dinkelsbühl
wieder Störche heimisch zu machen, wurde 1989 unternommen und er
setzte natürlich am Nest an. Was ist leichter, als Nistmaterial
einzuflechten und so zu tun, als sei alles in Ordnung. Dieser erste
Versuch schlug fehl. Nach vier Jahren war das gesamte Nistmaterial
wieder entschwunden und kein Hälmchen mehr vorhanden. 1993 wurde
nachgerüstet und diesmal stellten sich im Mai die ersten Störche
ein.
So präsentierte
sich das Nest am Tag der Ankunft der ersten Störche.
Alles
Nistmaterial wurde von Ihrem Storchenexperten so eingetragen.
Sie
blieben den ganzen Sommer, brüteten aber nicht. Die Zeit der
Wiederbesiedelung fällt ausgerechnet in eine Phase, in der in
weiten Teilen des Verbreitungsgebietes – vor allem aber im Gebiet
der Weststörche – ein Aufwärtsentwicklung zu beobachten war. Von
dieser profitierte damals auch unser geliebtes Dinkelsbühl. Kamen
jetzt die Störche wegen des herausgeputzten Nestes oder lagen die
Gründe doch wo anders? Obwohl Ihr Storchenexperte die Initiative
des ehemaligen Bürgermeisters Dr. Friedrich Höhenberger aufgriff
und die Arbeiten durchführte, denke ich, dass nicht das Nest der
Auslöser für die neue Besiedelung wurde.
So sah 1994 das
erste Nest aus,
aus dem zwei Junge ausflogen
Manche
Nestbaumeister unter den Störchen tragen in jedem Jahr –
Voraussetzung ist natürlich, dass das Nest auch immer besetzt ist
– große Mengen an Nistmaterial ein, andere begnügen sich mit
sehr wenig. Die einzige Bedingung ist nur, dass das Nest den zum Brüten
benötigten Raum bietet. Neue Nester, d.h. Nester die zum ersten Mal
zur Brut genutzt werden, sind immer kleiner als ältere. Der
Durchmesser und die Höhe nehmen im Laufe eines Storchennest-Lebens
ständig zu und können locker einen Durchmesser von 2 Metern
erreichen (ihr Storchenexperte durfte sich schon einmal in ein
Storchennest legen und weder Kopf noch Füße sahen anschließend über
den Nestrand hinaus und das bei 1,95 Meter Körpergröße!!). Das höchste
Nest Deutschlands steht in Bälow und misst 2 Meter vom Dachfirst
bis zum oberen Nestrand. Auch Nestgewichte von bis zu einer Tonne
sind bei Storchens verbürgt.
Nun kann das Dinkelsbühler
Nest nicht mit solchen Extremen protzen und dennoch war es in den
vergangenen Jahren seit 1993 in jedem Jahr von Störchen besetzt,
wenngleich in zwei Brutjahren keine Jungen groß gezogen wurden.
Keinem Storchenpaar – und es gab fast in jedem Jahr Wechsel –
machte es etwas aus, das Nest in einem für uns Menschen wenig
ordentlichen Zustand vorzufinden. Häufig war sogar noch weniger vom
alten Nistmaterial übrig geblieben als heuer.
In wenigen Tagen schaffen es nämlich
brutwillige Störche die nach ihrem Empfinden best mögliche
Ausbauform zu finden und die Voraussetzung für eine erfolgreiche
Brut zu schaffen. Dazu tragen die Störche fast ausschließlich
pflanzliches Material ein, dem häufig auch immer mehr
Zivilisationsmüll beigemengt ist. Da wird die weggeworfene
Verpackung eines Käseaufschnitts ebenso ins Nest getragen wie
Damenstrumpfhosen, Wollhandschuhe, Schnüre und Bindegarn (letzteres
oft mit fatalen Folgen für die Jungstörche). Auch Plastikteile in
Form von Resten diverser Plastiktüten und Siloabdeckungen sind
regelmäßig Inhalt eines Storchennestes.
Nestzustand 1995:
Paar erscheint
am 24.5. und brütet nicht mehr. |
So präsentierte sich das Nest am
20. April 1996. 1 Junges
flog später aus. |
Nest am 7. April 1997 zwei Junge
wurden
später flügge |
Nestzustand am 13.April 1998:
Später
flogen drei Junge aus. |
Nestzustand am 9.April 1999:
Später flogen drei Junge aus. |
Nest bei Kontrolle im November 2000 |
Nestzustand Anfang April 2000:
Es kam zu
keiner Brut mehr |
Nest zu
Beginn der Brutzeit 2001:
Am 20. April hat der erste Storch
Nistmaterial eingetragen |
Zustand des Nestes am 5.Juni 2001 |
Vielen dürfte auch schon
aufgefallen sein, dass zur Zeit immer noch die äußeren
Nestbereiche in der Nachmittagssonne glänzen, ja sogar etwas
spiegeln. Diese Schicht, die von den Dohlen noch nicht vollständig
geknackt werden konnte, stammt aus der letzten Brutsaison. Gerade in
den letzten Wochen vor dem Abflug der Störche, verdichtete sich der
Boden durch die ständigen Tritte der Jungen und Altstörche so
sehr, dass eine lederartige, zähe und beinahe harte Schicht
entstand, die selbst die Witterungseinflüsse während der kalten
Jahreszeit überstand. Diese bei näherer Betrachtung gräuliche
Schicht beinhaltet auch eine große Zahl von Gewöllen und Gewöllresten,
die in den Nestboden quasi eingebacken sind. Seien Sie also nochmals
versichert: Der Zustand des Nestes ist nicht Schuld, dass die Störche
dieses Jahres nur kurze Zeit am Nest verweilten. Es war halt bisher
noch nicht der richtige Storch dabei. Man muss natürlich auch in
jedem Jahr damit rechnen, dass ein Nest einmal nicht besetzt wird
(so wie es mit dem Dinkelsbühler Nest während einer 28jährigen
Pause schon einmal geschah). Natur ist Gott sei Dank nicht
planbar.
Nach dem Motto: Ich baue eine Kamera an ein
Storchennest und dann bitteschön kommen die Störche und
setzen sich brav vors Objektiv. Natürlich haben sie außerdem in
jedem Jahr fünf Junge und die Internetgemeinde ist glücklich.
Schön, wenn es so einfach ginge. Dabei sind die Verhältnisse komplexer
und man lernt manchmal mehr, die Hintergründe zu durchschauen und
Probleme zu erkennen, wenn es nicht nach Schema 08/15 abläuft. Sie
werden im Tagebuch auch dann informiert, wenn es wenig Storch zu
sehen gibt und vielleicht sind diese Informationen sogar in diesem
Fall noch wichtiger als wenn man vor lauter spektakulärer Bildern
das eigentliche Ziel des Kameraeinsatzes vergisst.
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