Storchenkamera

Storchentagebuch 2001
...was bisher geschah

Teil 4 

27. Juni 01

Am Vormittag gegen 9 Uhr 30 verlässt zum ersten Mal der "Dienst" habende Altstorch das Nest. Die Jungen sind damit erstmals allein und unbewacht. Dieser doch sehr weitreichende Schritt tritt somit bei unserem Paar relativ früh auf. 

Am 24. Lebenstag des ältesten Kükens ist es schon ein zeitiger Termin, an dem die als "unbewachte Jungenaufzucht" bezeichnete Phase eingeläutet wird. Dies bedeutet, dass die Jungen konstitutionell und von ihrer Gefiederentwicklung nicht mehr unbedingt den dauernden Schutz der Altstörche benötigen. Bei extremen Wettersituationen - wie Starkregen oder große Hitze - werden die Jungen natürlich auch noch in einem späteren Entwicklungsstadium zu schützen versucht. Bei Livebeobachtungen vor Ort konnte heute während der größten Hitzeentwicklung in der Zeit von 15 bis 17 Uhr ständig ein Altvogel im Nest beobachtet werden, der erst mit aufziehender Bewölkung und einer damit verbundenen Abkühlung gegen 17 Uhr 30 den Horst abermals verließ und die Jungen alleine zurückließ. 

Da Störche außer fremden Artgenossen keine natürlichen Feinde besitzen, greift ab der dritten Lebenswoche eine weitere angeborene Verhaltensweise der Jungstörche, die diese vor einem Angriff durch vagabundierende, nicht an ein Nest gebundene Fremdstörche schützt. Erscheint ein fremder Storch (oder etwa auch ein Mensch) im Bereich des Nestes, verfallen die Jungen in einen Zustand der Bewegungslosigkeit (griechisch als Akinese bezeichnet).

Gelegentlich ist der Zustand der Akinese auch beim Erscheinen eines Elterntiers gezeigt.

Außer an Atembewegungen oder an der Bewegung der Nickhaut des Auges sind keinerlei "Lebensäußerungen" mehr feststellbar und jeder Störenfried könnte meinen, es gäbe an diesem Nest nichts mehr zu holen. Sich zur Wehr zu setzen, hätte für die Jungen fatale Folgen, würden sie dann einen möglichen Angriff sicher nicht unbeschadet überstehen. In gewisser Weise sind damit die Jungen selbst in der Lage, Angriffe auch ohne Unterstützung durch die Eltern "abzuwehren".

Die unbewachte Jungenaufzucht fällt nicht zufälligerweise in die Zeit des größten Nahrungsbedarfs unserer Nestlinge. Einmal muss jetzt quantitativ und qualitativ mehr Futter herbeigeschafft werden, so dass es natürlich viel effektvoller ist, wenn beide Altstörche gleichzeitig auf Nahrungssuche gehen. Das Einzugsgebiet, aus dem die Nahrung entnommen wird, vergrößert sich und die Flüge führen weiter vom Nest weg. So sind für das Dinkelsbühler Paar schon mehrfach Flüge von 8 km nachgewiesen. Dass die Phase der unbewachten Jungenaufzucht so früh und so intensiv begonnen hat, hat möglicherweise auch die Ursache, dass es den Altstörchen in den letzten Tagen schon schwer fiel, ausreichend Nahrung herbeizuschaffen, wenn nur jeweils einer der Altstörche auf Nahrungssuche ging. Dies hätte dann wie beschrieben auch die weiten Flüge zur Folge und gäbe damit einen kleinen Hinweis auf die Qualität des Lebensraumes. Je weiter ein Storchenpaar fliegen muss desto schlechter ist es mit dem Nahrungsangebot im näheren Umfeld des Nestes bestellt. Wird ein Grenzwert (um die 10 km) dabei regelmäßig überschritten, steht der Energieverbrauch auf diesen Flügen in einem ungesunden Verhältnis zum Energiegewinn durch die aufgenommene Nahrung und es besteht dann die Gefahr, dass der Brutplatz in einem der nächsten Jahre aufgegeben wird.

28. Juni 01

Heute, an einem "durchwachsenen" Sommertag, der neben kurzen Regenschauern eine deutliche Abkühlung auf nur noch 20°C brachte, sind die beiden "Wonneproppen" im Nest immer wieder - auch über mehr als eine Stunde - allein im Nest.

Die durch die Harnsäure weiß gefärbten Beine der Altstörche strahlen schon wieder im klassischen Rot. Eine Absenkung der Körpertemperatur durch diese Spezialeinrichtung des Bekotens ist an einem solch relativ kühlen Tag nicht mehr nötig. Die Harnsäure wird dann schnell durch das Laufen im vom Regen durchfeuchteten Gras bei der Nahrungssuche gelöst und die weiße Farbe verschwindet.

Achten Sie bitte in den nächsten Tagen beim Beobachten der Vorgänge im Nest vor allem auf die Beine der Altstörche, dürften sie sich doch schnell wieder weiß verfärben (der Wetterbericht sieht für Mittelfranken über das bevorstehende Wochenende wieder hohe Temperaturen vor).

Die nun begonnene Phase der "unbewachten" Jungenaufzucht (siehe Tagebuch vom 27.Juni) zieht noch eine weitere Folgeerscheinung für die Jungen nach sich. Fällt in dieser Zeit einer der Altstörche aus (entweder durch einen Verkehrsunfall, Stromunfall, Anflug gegen ein Hindernis, Krankheit etc.), ist der verbleibende Partner allein in der Lage, die Jungen aufzuziehen. Passiert dieser Fall jedoch in der Zeit der bewachten Jungenaufzucht, dann geht für den überlebenden Altstorch das Wache Schieben am Nest vor das Suchen von Nahrung. Das bedeutet, dass er dann das Nest erst verlässt, wenn das Hungergefühl den Bewachungstrieb "besiegt". Dies kann nach eigenen Recherchen 36 Stunden und länger dauern. Da die Jungen in dieser Zeit den Unbilden der Witterung (Regen, Hitze, Kälte) in ihren Dunenkleidern schutzlos ausgeliefert sind, kam es bei derartigen Ereignissen fast immer zu einem Totalverlust der Brut.

Werden solche Vorgänge von aufmerksamen Beobachtern registriert - Verlust eines Partners in der Zeit der bewachten Jungenaufzucht (Alter der Jungen unter 3 Wochen) - kann durch ein Eingreifen am Nest und der Bergung der Jungen geholfen werden. Alle anderen Eingriffe am Nest haben während der Jungenaufzucht zu unterbleiben. Davon ausgenommen ist lediglich die Markierung der Jungstörche durch Ringe einer Vogelwarte. Das Bergen von Jungen bei gleichzeitiger Versorgung durch beide Elternteile wäre ein schwer wiegender Eingriff in biologische Abläufe.

Der Weg zur reinen Storchenzucht wäre dann nicht mehr weit ("Verhausschweinung" einer wild lebenden Tierart). Dass es auch ohne züchterische Eingriffe geht, beweist der bayrische Weg des Landesbundes für Vogelschutz. Ohne eine einzige Aufzuchtstation konnte der Bestand in den letzten 10 Jahren verdoppelt werden. Sicherlich ein Zeichen dafür, dass der Schutz des Lebensraumes unbedingt Vorrang vor der Heranzüchtung von "Verhaltenskrüppeln" unter den Störchen behalten muss.

30. Juni 01

Die Übertragung der Bilder unserer Videokamera läuft heute recht ordentlich, auch wenn die technischen Schwierigkeiten noch nicht behoben werden konnten und Sie sich deshalb in den nächsten Tagen immer wieder mit einem Standbild zufrieden geben müssen. Da es sich bei der Storchenkamera um eine Videokamera handelt, müssen die Signale erst umgewandelt werden, um sie "web-tauglich" zu machen. Dafür sind die Bilder, die sie dann sehen von der Auflösung und der Brillanz einfach besser als die einer reinen Webcam. Da die Umwandlung auch gewisse Zeit dauert, werden die Bilder unserer Kamera bisher auf Ihrem Bildschirm etwa alle 10 Sekunden erneuert. Die Umstellung auf eine schnellere Übertragungsgeschwindigkeit mittels DSL wird es dann ermöglichen, das gesendete Bildmaterial etwa alle 5 Sekunden zu aktualisieren. Gedulden Sie sich und freuen sie sich auf die Zeit, in der unsere tüchtige Technik alles im Griff hat.
Zum Glück weiß unsere Storchenfamilie von all den Schwierigkeiten nichts und das ist auch gut so. Die Entwicklung verläuft mit Kamera nicht anders als ohne sie. Und bei all den Enttäuschungen, die den Besuchern unserer Website die Übertragung manchmal gebracht hat, dürfen Sie nicht vergessen, dass die Kamera zur Lebensbewältigung der Störche nichts beiträgt, sondern ausschließlich den Sehern ein kleines Guckloch schafft, in die sonst mehr verborgenen Lebensvorgänge einer zugegeben attraktiven Vogelart Einblick zu gewinnen.

Die Hälfte der Nestlingszeit ist geschafft. Die Aussichten, dass beide Jungen auch die zweite Hälfte gut überstehen, sind bestens

Die Altstörche haben wieder ihr weißes Beinkleid angelegt (thermoregulatorisches Beinkoten, siehe Tagebuch vom 26. Juni).

Das zweite Dunenkleid wird jetzt mehr und mehr von den "unterirdisch" wachsenden Konturfedern (erste richtige Federgeneration) verdrängt und fällt in kleinen weißen Flöckchen, ähnlich den Flugsamen einer Löwenzahnpflanze, ab. Der rechte, ältere der beiden Jungstörche zeigt auf dem neben stehenden Schnappschuss die schon einige Zentimeter aus den Blutkielen gewachsenen, ganz weißen Steuer- oder Schwanzfedern.

Auch die schwarzen Schulterfedern haben deutlich an Länge zugelegt. Die Handschwingen sind am besten zu erkennen, wenn die Jungen ihren Flügelchen einmal ganz ausstrecken, sonst wird die Hand von den Armschwingen fast ganz überdeckt.

Am 27. bzw. 26. Lebenstag ist das Gewicht beider Jungen nahe an die Fünf - Pfund - Marke gestiegen. Der tägliche Nahrungsbedarf bei gut einem Pfund "Beutegewicht" pro Tier bedeutet für das Elternpaar wenig freie Zeit am Nest und weite Flüge in das Nahrungsgebiet.

Das Alter der Jungen von knapp vier Wochen, wäre auch der beste Zeitpunkt, um sie mit Ringen der Vogelwarte zu markieren, um später etwas über ihren Verbleib sagen zu können. Zuständig für das Dinkelsbühler Nest wäre die Vogelwarte Radolfzell. Nun besteht jedoch für Franken und für weite Gebiete des Einzugsbereiches der genannten Vogelwarte seit 1988 eine Vereinbarung, so lange die Beringung auszusetzen, bis ein neues Ringmaterial entwickelt ist. Dieses neue Material soll dann dazu beitragen, die durch eine Beringung möglichen Verletzungsgefahren für die Störche hundertprozentig auszuschließen. Dies ist Herrn Walther Feld inzwischen gelungen und der neue "ELSA-Ring" in der Erprobung. Für dieses Jahr wird deshalb der Dinkelsbühler Storchennachwuchs noch unberingt bleiben. Was die nächsten Jahre bringen werden, wird die Zukunft zeigen.

2. Juli 01

Morgen bzw. übermorgen feiern die beiden Jungstörche Geburtstag. Sie vollenden ihren ersten Lebensmonat.

Auch heute befand sich immer nur zu den Fütterungen und einige Minuten danach jeweils ein Altstorch im Nest. Ansonsten durften die Jungen die meiste Zeit allein verbringen. Auffällig, wie nahe sich einer (das kleinere Geschwisterchen) immer wieder dem Nestrand näherte. Ängstliche Beobachter der Szene mochten darüber etwas erschrocken sein. Dazu besteht jedoch überhaupt kein Anlass. Ein angeborener Instinkt "sagt" dem vorwitzigen Jungen: Bis hierher und nicht weiter! Ich kenne keinen Vorfall, bei dem jemals ein Junges ohne fremdes Zutun in diesem Stadium der Nestlingszeit aus dem Nest gefallen wäre.


Hier geblieben,
sonst fällst du runter


So gefällt es mir
schon besser!


Jetzt lass mich auch mal sehen, was es da unten gibt! 

Man sieht, dass sich die Kleinen jetzt auch intensiv mit dem Schnabel über die Federn streichen. Hier ist man versucht ausnahmsweise vermenschlichend zu denken und davon zu sprechen, dass es den jungen Storchenkindern sicherlich momentan ziemlich juckt, wenn so viele Federkiele wie im Augenblick durch die Haut brechen und ihrerseits das "flockige" zweite Dunenkleid mehr und mehr verdrängen. Gefiederpflege gehört auch bei den Altstörchen im Laufe eines "Arbeitstages" zu den regelmäßig durchzuführenden Tätigkeiten, um das Gefieder mit Fett aus der Bürzeldrüse einzustreichen oder um aus den "Fugen" geratene Federn wieder in den richtigen Zustand zu bringen. Bei hoher Beanspruchung kann es passieren, dass einzelne Federäste, die durch sog.Hakenstrahlen miteinander verbunden sind, diese Bindung verlieren. Ein Durchziehen jeder einzelnen Konturfeder mit dem Schnabel stellt diese Verbindung - ähnlich einem Klettverschluss - wieder her und gibt beispielsweise den Vogelschwingen ihre Tragfähigkeit. Zahlreiche "Löcher" würden die Flugfähigkeit herabsetzen oder die Flugbedingungen zusätzlich erschweren. Eine gute Wartung des Fluggerätes erhöht auch in diesem Fall die Flugsicherheit bei "Storchens".

Zur Zeit läuft in den Wiesen rund um Dinkelsbühl der zweite Grasschnitt (Siehe Lebensraum). Sicher eine Zeit, in der für die Eltern vorübergehend wieder leichte Beute möglich ist. Am Nachmittag konnte einer der Altstörche auf einer bereits abgeräumten Wiese in der Wörnitzaue zwischen Maulmacher und der Froschmühle (2200 Meter nördlich des Nestes) bei der erfolgreichen Mäusejagd beobachtet werden. Zwei Schnappschüsse zeigen, dass heute ein besonders großes Beutetier ausgewürgt wurde und am Nestrand liegen blieb. Als die Jungen zu erkennen gaben, dass dieser Brocken zu groß ist, nahm ihn der Altstorch wieder auf und verschluckte ihn dann endgültig für seinen eigenen Gebrauch. 


Alle Augen (nein Schnäbel) fixieren das große Beutestück


Wenn ihr es nicht wollt, fresse ich es eben wieder

Nach intensiven Studien möchte ich diese Beute als Maulwurf identifizieren. Färbung, Größe (mind. 15 cm Körperlänge), fehlender oder nur kurzer Schwanz sprechen eindeutig dafür.

3. Juli 01

Endlich ist es geschafft! Zum einmonatigen Geburtstag unseres großen Storchenjungen gelang es der Technik (Telekom, Helmut Wilfling und Klaus Kamm von K & K Computersysteme - siehe auch Logos neben dem Bild der Storchenkamera), die Bilder wieder dauerhaft zum Laufen zu bringen. Auch die Übertragungsgeschwindigkeit konnte - ein kleiner Kompromiss eingeschlossen - leicht erhöht werden, so dass jetzt einer zweiten erfolgreichen Halbzeit in der Aufzucht unserer Jungstörche auch auf diesem Gebiet nichts mehr entgegensteht.

Einige auffällige Veränderungen, die sich in den letzten Tagen ereignet haben - vom bereits besprochenen Federwachstum abgesehen - seien hier nach Messungen an von Hand aufgezogenen Störchen genannt. Der schwarze Schnabel, der vor 14 Tagen gerade 6 Zentimeter lang war, misst jetzt bereits 10 Zentimeter. Die Länge des Storchenlaufes - von den Zehen bis zu der Stelle, an der er im Körper des Tieres verschwindet - hat sich von 9 auf 15 Zentimeter gestreckt, während sich die Flügellänge im gleichen Zeitraum fast verdreifacht hat: Von 11 cm auf jetzt schon stolze 30 cm. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass bis zum Ausfliegen der Jungen noch einmal gut das Doppelte dazugepackt werden muss.


Habe wieder Futter mitgebracht

Wer, wie unsere Störche viel frisst, hat auch eine gute Verdauung. Dies zeigt mittlerweile das Altrathausdach in deutlicher Weise. Die Fläche und die Intensität der Weißfärbung hat schon beachtliche Ausmaße angenommen. Ein anderes Abfallprodukt, das mit der Nahrungszusammensetzung in Verbindung zu bringen ist, zeigt sich dem Beobachter nur zufällig. 

Es sind die etwa einmal täglich aus dem Schnabel ausgewürgten Speiballen oder Gewölle.Die jungen Störche würgen sie ins Nest aus. Sie bleiben dort liegen, werden Bestandteile des Nestes, bis sie durch Witterungseinflüsse zerfallen. Altstörche entledigen sich ihrer unverdaulichen Nahungsreste am abendlichen Ruheplatz oder im Nest. Die beste Möglichkeit, in den "Besitz" eines Gewölles zu kommen, bietet sich, wenn man den Ruheplatz oder Übernachtungsplatz der Störche regelmäßig absucht. Gewölle können dann direkt unterhalb der Stelle zu finden sein, an der der Altstorch einige Zeit geruht oder übernachtet hat. Alle Vögel. die von Tieren leben, die für sie nicht verdaubare Bestandteile enthalten, bilden solche Gewölle. Diese werden im Magen geformt. Beim Storch bilden beispielsweise die Haare von Kleinsäugern (Mäuse, Maulwürfe) den Hauptbestandteil dieser walzenförmigen, etwa 5-10 cm langen, grauen bis braunen Ballen. Bei verstärkter Regenwurmnahrung sind hauptsächlich erdige Bestandteile im Gewölle zu finden (Regenwürmer enthalten bekanntlich diese Erde). Haare und Erde sind also dei Hauptbestandteile jedes einzelnen Speiballens. Knochen werden von der starken Magensäure fast vollständig verdaut (anders als bei den Eulen. Hier kann man alle Knochen der Beutetiere komplett im Gewölle wiederfinden). Im Hochsommer zur Zeit der Heuernte oder bei verstärktem Auftreten von Insekten (Käfer aller Art), lassen sich in den ausgewürgten Ballen häufig Chitinteile finden. Metallisch glänzende, grüne Flügeldecken von Laufkäfern machen ein Gewölle gelegentlich zu einem wahren Farbspektakel. Was sonst noch alles an Unverdaubarem mit hinuntergewürgt wird, um später wieder unverändert das Licht der Welt zu erblicken, ist weniger schön. So konnte ich neben mehr oder weniger großen Glassplittern und Steinen aller Formen und Größen, auch schon Kronenkorken von Bierflaschen, Gummis, Bruchstücke von Plastikmaterial und auch jede Menge pflanzliche Kost - sie wird entweder aus Versehen mitgefressen oder weil sie an anderer Beute haftete und mit verschluckt wurde - finden.

4. Juli 01
Das Nest, in dem die Dinkelsbühler Störche in rasantem Tempo heranwachsen, gehört zu den kleinsten der mir bekannten fränkischen Weißstorchhorste


Ich habe bald keinen Platz mehr im Nest


Rutscht mal, ich hab ja kaum Platz zum Liegen

Ob man die Bezeichnung Horst oder Nest wählt bleibt jedem selbst überlassen, handelt es sich bei beiden Begriffen um denselben Gegenstand. "Horst" bezeichnet dabei - in Abgrenzung zum sonst üblichen "Nest" - die Besonderheit der Niststätte nach Größe und Ausmaß. In der wissenschaftlichen Nomenklatur wird bei Zählungen des Bestandes der Weißstörche immer von Horst gesprochen: Horstpaar, Junge pro Horstpaar, besetzte Horste usw. Da der Horst - wie im 1. Teil des Tagebuches bereits erwähnt - im vergangenen Winterhalbjahr arg gelitten hatte, blieb bis zum Frühjahr nur ein erdiger Kern oder - salopp ausgedrückt - ein Erdbatzen übrig, auf dem Gras hoch wuchs. Der Durchmesser dieses Klumpens mochte gerade die Hälfte eines Wagenraddurchmessers betragen haben. Als unser Storchenpaar zum Nestbau ansetzte, umbaute es diesen kümmerlichen Rest mit Zweigen und Ästen, so dass im Endstadium gerade die Maße des als Nestunterlage dienenden Rades erreicht wurden. Zieht man nun die äußere Nestumrandung ab, bleibt ein guter Meter, vielleicht etwas mehr, für die eigentliche Nestmulde als "Aufenthaltsraum" für die Jungen. Diese Maße entsprechen in etwa neu errichteten Horsten. Im Laufe der Jahre - die Nester werden ja immer wieder benutzt - nehmen die Horste an Höhe, Breite und Gewicht immer weiter zu. Wahre Nestburgen entstehen. Horstdurchmesser von über zwei Metern sind keine Seltenheit und auch solche von zwei Metern Höhe sind bekannt (z.B. Bälow bei Rühstädt im Kreis Perleberg, Brandenburg). Da ab einer bestimmten Höhe die Stabilität des Nestes und auch die des Horstgebäudes eine Gefahr für Mensch und Tier darstellen können, werden solche Nester nach Einholen einer Genehmigung bei der Höheren Naturschutzbehörde nach dem Abzug der Störche abgetragen. Dabei wurden solche Riesenburgen auch schon mal gewogen und dabei Gewichte von über einer Tonne ermittelt. In solch großen Nestern gibt es eine beachtliche Zahl von kleinen Höhlen und Spalten und Zwischenräumen, die auch von anderen Vogelarten gerne als Nistplatz genutzt werden. So ist das Brüten von Haus- und Feldsperlingen sowie von Staren im Nest in Mosbach (10 Kilometer von Dinkelsbühl entfernt) für dieses Jahr bekannt, im alten Nest in Gunzenhausen brüteten vor Jahren neben den genannten Arten auch zwei Dohlenpaare. Das kleine Dinkelsbühler Nest besitzt zur Zeit noch keine Untermieter, da auch die Höhe des eingetragenen Nistmaterials für Spalten und Höhlungen noch nicht ausreicht.

5. Juli 01

Unsere beiden Küken haben sich nun schnell zu verkleinerten Ausgaben ihrer Eltern gemausert. Bedeutende Unterschiede (von den Größenverhältnissen einmal abgesehen) sind lediglich der schwarze Schnabel und die graublauen bis gelblich braunen Beine. Das Dunenkleid wird mehr und mehr abgestoßen und ist nur noch in kleinsten Resten vorhanden. 

Vielleicht stellten Sie sich gelegentlich schon die Frage, welche Bedeutung die schmutzig gelben Bereiche an Vorderbrust und Bauch der Nestlinge im ansonsten weißen Federkleid bedeuten und wie sie zustande kommen? Die Federn bei Vögeln sind in der Regel nicht vollkommen gleichmäßig über den gesamten Körper verteilt, sondern in sogenannten Fluren angeordnet. So besitzen so gut wie alle Vogelarten gerade an den Stellen, an denen diese gelben Flecken zu erkennen sind, die wenigsten Federn.

Die benachbarten Federfluren decken zwar diese Hautpartien mit zu, jedoch beim Dagegenblasen (wenn man den Vogel in der Hand hält) sieht man die nackte Haut zum Vorschein kommen.

In der Natur gibt es für die meisten Sachverhalte eine biologische Erklärung. Für die Bebrütung eines Geleges ist der Hautkontakt zwischen Ei und Vogel äußerst wichtig, um eine gleichmäßige Temperatur abgeben zu können (Brutfleck bei den erwachsenen Vögeln). Bei unseren Jungstörchen ist es nun gerade dieser Bereich, der beim Liegen im Nest ständig in Berührung mit dem Gras, Stroh und Mist des Nestinneren ist. Die Farbstoffe, die bei den Zersetzungsvorgängen (das Gras "vergammelt" mit der Zeit und wird ja auch von den Altstörchen ständig ergänzt und erneuert) frei werden, färben Haut und Federbereich dort in der auf den Bildern zu sehenden Weise. Sollte in den nächsten Tagen bei Regenfällen die Nestmulde einmal kurz unter Wasser stehen oder sich eine kleine Wasserpfütze bilden, werden die besagten Körperpartien auch einmal schnell eine schwärzlich braune Farbe annehmen können. Das heißt die Jungstörche sind dann schlicht und einfach verdreckt, sind doch wesentliche Bestandteile der Nestmulde von erdiger Struktur. Eingetragenes Pflanzenmaterial wird unter Verdichtung zu Humus umgewandelt (siehe Komposthaufen). Eine anschließende Gefiederpflege, wie sie auch ohne Verschmutzung schon regelmäßig und intensiv von unseren Kleinen betrieben wird, würde dann die Schmutzteilchen wieder herausbefördern. Jede einzelne Federn wird so lange durch den Schnabel gezogen und auch durchgeknabbert, bis sich alles wieder ordentlich anfühlt.

 

Thomas Ziegler

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