Storchenkamera

Storchentagebuch 2001
...was bisher geschah

Teil 2

7.Juni 01

Der Schlüpfvorgang im Storchennest ist abgeschlossen. Drei Junge haben erfolgreich das Licht der Welt erblickt. Verbleib und Schicksal eines vierten Eies können nicht mehr eindeutig abgeklärt werden.  (siehe Chronik vom 05.Juni)

Bereits jetzt ist deutlich die Auflösung der scharf begrenzten Mulde zu beobachten, die während der einmonatigen Bebrütungsphase die Eier umschloss und ein ständiges Herumkullern der Eier verhindern half. In den nächsten Tagen wird dieser Prozess sich fortsetzen, so dass bald der Nestboden keine Vertiefung mehr aufweisen, sondern das Aussehen eines flachen Kuchentellers zeigen wird.

Eine weitere beachtenswerte Verhaltensweise der Altstörche kann auch jetzt schon bei Sonnenschein beobachtet werden. Einerseits sind kleine Störche zwar sehr wärmebedürftig (siehe weiter oben), andererseits besteht aber auch die Gefahr der Überhitzung bei starker Wärmeeinstrahlung. Da Vögel über keine Schweißdrüsen verfügen und eine Wärmeabgabe bevorzugt durch Hecheln über die Mundschleimhaut erreicht wird, versuchen die Altstörche den Jungen Schatten zu spenden.

Die Webcam filmt in Richtung Westen (im Hintergrund erkennt man Teile der Evangelischen Paulskirche). Somit zeigt am Vormittag bei Sonnenschein der wachhabende Altstorch dem Besucher seine Rückseite (Sonne steht noch im Osten). Bis zum Nachmittag wandert der Altstorch mit der Sonne weiter und blickt nun dem Beobachter ins Gesicht. 



Vormittag, Storch Rückenansicht

Allein schon das Mitgehen der Altstörche mit dem Sonnenstand zeigt dem kundigen Beobachter im Verlauf eines Tages, dass Junge im Nest sein müssen, auch wenn man sie von unten wegen ihrer geringen Größe noch nicht erkennen kann.



Nachmittag-Abend, Storch sieht zur Kamera

08.Juni 01

Der erste richtige Regentag seit dem Schlüpfen der Jungen ist heute zu überstehen. Als Regenschirm fungieren die beiden Storcheneltern. Nur für ganz kurze Augenblicke erheben sich, um mit dem Schnabel den Nestboden aufzulockern oder die Jungen zu füttern. 



"...also im Herbst flieg ich doch wieder in den Süden..."

Die meiste Zeit decken sie ihren Nachwuchs komplett zu, der seiner seits immer wieder versucht, die Lage zu peilen und neugierig den Kopf durch das Gefieder des hudernden Altvogels zu stecken

Vögel verfügen über eine deutlich höhere Körpertemperatur als Säugetiere. Die Ruhewerte liegen um 39°C, bei körperlicher Aktivität steigert sie sich deutlich.. Beim Storch erreicht sie bis 42°C, bei fliegenden Kleinvögeln werden Werte bis 47°C erreicht. So ausgestattet können Vögel, die frei brüten - also keine Höhlenbrüter sind- auch kalte Regentage ohne große Verluste überstehen. Kritisch kann die Situation bei Dauerregen über viele Stunden oder gar Tage werden, weil sich dann die Futterbeschaffung durch die Elterntiere zu einem Problem auswächst. Ohne Nahrungszufuhr bricht dann der Wärmehaushalt der Jungen zusammen und kann durch die abgegebene Körperwärme der Altvögel nicht mehr kompensiert werden.

09.Juni 01

Inzwischen haben die drei Jungstörche im Nest ein Alter von 6, 5 bzw. 3 Tagen erreicht. Ihr Schlüpfgewicht von ca. 75 Gramm haben sie bereits deutlich erhöht und im Falle des 6tägigen Jungen mehr als verdoppelt. Mit 155 g, 140 g und etwa 100 g weisen die Gewichte schon ein großes Gefälle auf, das auch deutlich zu sehen ist. 
(Gewichte aus HEINROTH, O.(1926):Die Vögel Mitteleuropas, Band II, Brühlscher Verlag, Gießen)

Die kritische Phase, die Zeit in der die meisten Verluste an Nestlingen beim Weißstorch auftreten, liegt zwischen dem 6. und 10. Lebenstag (über 50 % aller Fälle). Das bedeutet, dass die nächste Woche für unsere Jungstörche die kritischste Zeit werden kann und es keine Überraschung darstellen würde, wenn ein Junges (das Nesthäkchen) diese Phase nicht überlebt. 

11.Juni 01

Beide Partner funktionieren in der Jungenbetreuung weiter sehr gut. Die Phasen des Huderns - d.h. des Bedeckens der Jungen durcheinen Altvogel- sind in Anbetracht der immer noch sehr unbeständigen Wetterlage (teils kräftige Regenschauer, Höchsttemperaturen nur wenig über 10° C) erwartungsgemäß sehr lange. So gelingt momentan mit Glück nur ein sehr kurzer Blick auf unsere drei Jungstörche. Der Größenunterschied zwischen dem ältesten und dem jüngsten Jungen ist nach wie vor beträchtlich.

Da bei dieser Wetterlage (keine Sonne, kalt und regnerisch) kaum Thermik vorhanden ist, sind Nahrungsflüge in weiter entfernte Gebiete (weiter als 2-3 km vom Nest entfernt) für die Storcheneltern momentan kaum möglich. So ist es gerade jetzt ausgesprochen wichtig, dass die Altstörche in nahe liegenden Nahrungsgebieten das für die Jungen geeignete Futter finden. Das Dinkelsbühler Storchenpaar ist in der glücklichen Lage, neben den nicht sehr ergiebigen Wörnitzwiesen auf andere Strukturen ausweichen zu können. So besuchen sie in Notzeiten gerne die Teichgebiete im Umkreis der Stadt, in denen die weltbekannten Dinkelsbühler Spiegelkarpfen heranwachsen. Gerne bedienen sie sich dann an den Beifischen (v.a. Weißfische), während Karpfen wegen ihrer hochrückigen Silhouette nicht so leicht "rutschen" und verschluckt werden und deshalb (zumindest von den Jungen) nicht gerne verzehrt werden. Da künstlich angelegte Fischteiche sehr steile Ufer haben, ist der Zutritt für den Storch in den meisten Fällen gar nicht möglich. Anders als der Graureiher landet der Storch nicht mitten in einem Weiher, sondern er erschließt sich das Gewässer stets vom Weiherdamm bzw. vom Ufer aus. So beschränkt sich die Nutzung eines Weihers fast ausschließlich auf die unmittelbare Uferregion. Dabei werden aber kaum gesunde Fische erbeutet, sondern in der Regel kranke, unvorsichtige und am häufigsten auch tote Fische aufgenommen. Wer Störche an einem Weiherdamm patrouillieren sieht, darf nicht vergessen, dass solche Strukturen wegen einer fehlenden Nutzung im Sommer sehr nahrungsreich sein können (Mäuse, Insekten, ...) und es Adebar eigentlich gar nicht auf Fische abgesehen hat.

12.Juni 01

Die Drillinge sind nach wie vor alle in guter Verfassung, von dem immer noch deutlichen Größenunterschied abgesehen. Aber bei 3 Tagen Altersunterschied macht dies bei der rasanten, täglichen Gewichtszunahme sehr viel aus. Hoffen wir also weiter. 

Da die Storchenkamera bis nach Einbruch der Dunkelheit immer noch Bilder liefert, auf denen noch etwas zu erkennen ist, hat sich mancher Besucher unserer Website sicher schon gefragt, was die Eltern die Nacht über so treiben. Heute, am 12. Juni 01, war der letzte Anflug eines Altstorches ans Nest um 21.45 Uhr. 


21:45:35 Beide Eltern im Nest


21:49:35 Männchen abgeflogen

Da es Störche in der Regel generell vermeiden in der Nacht zu fliegen, sind sie für Flüge aus dem Nahrungsgebiet zum Nest, die ja auch über etliche Kilometer führen können, auf Tageslicht angewiesen. Nach der mitteleuropäischen Sommerzeit geht momentan die Sonne um 21.25 Uhr unter. Eine halbe Stunde Dämmerung dazugerechnet wäre als 22 Uhr die zu erwartende Zeit, ab der Störche nicht mehr "flugtauglich" sind. Um 21.45 standen beide Altstörche noch im Nest. Ein Partner legte sich anschließend hudernd auf seine Jungen. Aus Beobachtungen an vielen anderen Nestern weiß man, dass es so gut wie immer die Storchenweibchen sind, die während der Nacht Dienst an und bei den Jungen tun. Der Partner - in unserem Falle also das Männchen - sollte während der Nacht am Nestrand stehen und dort schlafen, wachen oder auch sein Gefieder pflegen. Er sollte zumindest während der Brutzeit und in der ersten Phase der Jungenaufzucht auch nachts bei seinem Weibchen im Nest verbringen. Was aber macht der Dinkelsbühler Storchenmann? Er fliegt seit geraumer Zeit bei Einbruch der Nacht vom Nest ab und stellt sich in etwa 8 Meter Abstand auf einen Kamin, der zum Netsgebäude "Altes Rathaus" gehört. Deshalb kann man momentan immer nur einen Altstorch während der Nacht im Nest finden. Sicher eine Marotte des Männchens, die eine Erwähnung verdient.

14. Juni 01

Bei den beiden größeren Nestgeschwistern ist jetzt deutlich der beginnende Wechsel vom ersten ins zweite Dunenkleid zu erkennen. Dieses besitzt gegenüber dem ersten mehr "Strahlkraft", es ist weißer im Vergleich zum graueren ersten Dunenkleid. Das Nesthäkchen zeigt den Übergang der beiden Dunenkleider am besten. 

Im Kopf- und Halsbereich wird dieser Wechsel zuletzt vollzogen. Auch sind als schmale schwarze Säume am unteren Flügelrand die schwarzen Spitzen der Blutkiele erkennbar, aus denen in einigen Tagen dann das Wachstum der schwarzen Hand- und Armschwingen ein setzt. 

Die Gewichtskurve unserer Drillinge entspricht voll den Erwartungen und hat im Falle des größten Nestgeschwisters die Marke von einem Pfund (500g) überschritten. Auffällig war die letzten beiden Tage auch, dass die Altstörche immer seltener hudern mussten. 

Das sonnige Wetter der vergangenen Tage machte sogar eine extreme Schatten spendende Stellung nötig, bei der der jeweilige Altstorch breitbeinig und mit leicht angewinkelten Flügeln über den Jungen steht.

Auch in den beiden Nachbarnestern unseres Dinkelsbühler Paares gibt es seit geraumer Zeit Storchennachwuchs. In Mosbach (10km flussaufwärts) sind bis Ende Mai 5 Junge geschlüpft. Eines verschwand nach vier Tagen spurlos, die anderen vier Jungen erfreuen sich zur Zeit noch bester Gesundheit, auch wenn das Nesthäkchen wie in Dinkelsbühl sicher noch nicht über den Berg ist. In Weiltingen, einem Ort 10 km flussabwärts (hier brütete das Weibchen Radolfzell 0..5590, das vorher vier Jahre in Dinkelsbühl weilte - siehe unter "Historisches" ) gibt es zur Zeit mindestens 2 Junge, die etwas älter sind als die Dinkelsbühler. Ein weiteres Junges wurde von den Altstörchen im Alter von knapp 14 Tagen tot aus dem Nest gezerrt. Es blieb schließlich kopfüber im Nistmaterial hängen und konnte von unten längere Zeit beobachtet werden.

16. Juni 01

Auch unser Nesthäkchen hat den 10. Lebenstag erreicht und somit die erste kritische Phase erfolgreich durchlebt. Seine Wachstumsfortschritte sind täglich sichtbar, sie hinken nur den beiden älteren Geschwistern um 2 bzw. 3 Tage hinterher. Beim Anflug zum Nest bringen beide Partner regelmäßig einen "Schnabel voll" frisch gemähtes Gras mit, das schnell und ohne viele Umstände im Nestinneren abgelegt wird.


Kurz vor Auswürgen...


...gleich kommts...


...und frisches Gras

Gut zu beobachten ist nun - da der Einblick ins Nest ungehindert möglich ist - wie der mit Futter erschienene Altstorch auf sanftes Drängen seiner Jungen (sie picken und zupfen mit ihren Schnäbeln in Richtung des Schnabels der Altstörche, werfen Kopf und Schnabel nach hinten auf den Rücken und geben ein katzenähnliches Fauchen von sich) den Schnabel tief ins Nest senkt und durch würgende Bewegungen den Mageninhalt ins Nest zu erbrechen versucht. Bis es soweit ist, können einige Minuten verstreichen oder der Vorgang wird sogar ohne erkennbaren Grund ganz abgebrochen und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Gelegentlich beginnen die Jungen nach der Landung des Elterntieres noch gar nicht ihr Bettelverhalten zu zeigen. Offensichtlich sind sie dann von der letzten Fütterung noch satt. Erst wenn eindeutig gebettelt wird, startet der Altstorch einen neuen Versuch. Da die Bildfolge der von der Webcam übertragenen Signale im 10 Sekundentakt abläuft, ist dadurch leider von der Zusammensetzung der Beute noch recht wenig zu erkennen. Kleine Beutetiere - und um diese handelt es sich im Augenblick meistens - werden von den Jungen schnell abgeschluckt und sind beim nächsten Bild dann auch schon nicht mehr zu sehen. Wer hier durch eigene Beobachtungen Interessantes beisteuern kann (vielleicht durch das Speichern eines Schnappschusses mit erkennbarem Nahrungstier) darf sich gerne über E-Mail melden.

Der Storchenort Dinkelsbühl liegt von seiner Höhenlage über dem Meer bereits an der Obergrenze deutscher Brutorte. Mit knapp 450 m wird er in Bayern nur noch von wenigen Orten in Oberfranken, in der Oberpfalz und in Schwaben übertroffen. Doch auch hier liegt kein Horst über 550 m. Dieser Aspekt ist bei allen weiteren Betrachtungen und Beobachtungen immer zu berücksichtigen, sind doch die klimatischen Bedingungen in Storchengebieten in Norddeutschland oder in weiten Teilen der neuen Bundesländer wesentlich günstiger. 

Die Lage des Nestes auf dem knapp 20 m hohen Dach des alten Rathauses von Dinkelsbühl aus dem 14.Jahrhundert - nach Umbauten seit 1550 im heutigen Zustand - erlaubt den Störchen einen weiten Blick nach Süden und Osten, während der Blick nach Norden vom riesigen Dach der benachbarten Georgskirche, der Blick nach Westen von der ansteigenden Segringer Straße eingeengt wird.

Thomas Ziegler

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